Interpretation – wie geht das?

Durch Beschreiben und Benennen der einzelnen Horoskop-Faktoren entsteht zuerst die Analyse. Durch Erkennen der Zusammenhänge und Hinführen zu einer essentiellen Aussage entsteht danach eine Synthese. Beides sind Aufgaben der Interpretation. Dabei bedarf es der Übersetzung von Symbolen und grafischer Struktur in Sprache.

Die Horoskop-Faktoren:

  1. Planeten-Symbole
  2. Winkelverbindungen zwischen Planeten
  3. Tierkreiszeichen
  4. Felder/Häuser (Sektoren außen)
  5. Talpunkte

Symbole sind in Bilder und Kürzel geschlossene, konzentrierte Inhaltskomplexe. Sie lassen sich mit Stichworten und Begriffen zwar umreißen und gegeneinander abgrenzen, allein mit Worten aber nicht vollständig vermitteln.

Wir orientieren uns täglich ganz selbstverständlich an Zeichen und modernen Piktogrammen z.B. im Straßenverkehr oder in den Medien.  Auch ein einzelner Buchstabe oder eine Zahl ist ein solches Zeichen. Sogar Firmenlogos sind symbolträchtig geworden.

Chinesisch Wasser
Ägyptische Hieroglyphen
Wappen von Remmesweiler

Der astrologische Interpret setzt aus unbekannten Zeichen, „Buchstaben“ und Symbolbildern einzelne „Sätze“ und Gedanken zusammen; er bildet damit Energiemuster in Sprache ab. Im Laufe der Deutung entwickelt sich aus den einzelnen Sequenzen, eine Art Roman, der rote Faden der Lebensgeschichte.

Leonard Bernstein (25. August 1918)

Der Astrologe hat vielleicht ein paar Stunden Zeit, das Energiemuster nachzuvollziehen und sprachlich zu entfalten – dem Kunden steht hingegen seine gesamte Lebensspanne zur Verfügung, sein Horoskop zu interpretieren.

Auch die Astrologie hat eine Grammatik (Struktur & Regeln). Ein Astrologe ist nicht auf diffuse Weise mit obskuren Mächten beschäftigt, sondern interpretiert die Urthemen der Menschheit innerhalb eines klaren Weltbilds – für jede/n Einzelne/n ganz individuell .

Dieser „Satz“ heißt: „Der rückläufige Jupiter im Stier im Haus des Wassermanns steht im Quincunx (150°-Winkel) zu Mars in Konjunktion mit dem aufsteigenden Mondknoten im Schützen im Haus der Jungfrau“ und ist für den Laien vorerst genauso fremd wie der Satz: „Kyrie eleison“ oder „Gdzie są moje buty?“ oder „Gin khao gab anjáng“ aus einer fremden Sprache und womöglich in einer fremden Schrift.

   Es gibt Menschen, die können diese Formel lesen und verstehen….

Der Astrologe muss seine Symbolsprache zuerst selbst lernen – in Kursen und im Selbststudium. Er kann seine Kenntnisse durch die Horoskope seiner Klienten täglich vertiefen. Er ist ein Übersetzer von einer Sprache in eine andere, wobei die einzelnen Symbolinhalte (s. o. „Faktoren“) geläufig sein müssen.

Musikmanuskript in Neumenschrift (1433 n.Chr.) Kloster Pantokratoros, Athos, GR

Da allenfalls Sätze wie „Der Vogel fliegt“ oder „Das alte Haus steht auf dem Berg“ oder „Wo ist der Bahnhof?“ 1 : 1 von einer Sprache in eine andere übersetzt werden können, aber bei komplexeren Inhalten die Gedanken- und Bilderwelt der beteiligten Sprachen vertraut sein muss und von persönlicher Sichtweise gefärbt ist, fließt auch in jede Sprachübersetzung eine gewisse Interpretation ein.

Krebs

Wie viel schwieriger ist es ein Gedicht oder einen philosophischen Text zu übertragen als einen Zeitungsartikel! Und nochmals anspruchsvoller ist es eine Symbolsprache verständlich zu machen.

Uranus

Um eine lebendige Vorstellung der Bedeutung archetypischer Lebensinhalte zu bekommen, muss ein Astrologe deshalb die in Symbole gefassten Energieprinzipien unbedingt auch selbst bewusst erfahren und in Selbstbeobachtung erkennen. Die Kenntnis astrologischer Grammatik mischt sich mit der eigenen Lebenssicht und ergibt unterschiedliche Akzente. Wie bei einem Musikstück führt der persönliche Stil im Umgang mit den festgelegten Noten zu unterschiedlichen Interpretationen.

Venus

Außerdem hat jedes Symbol auf verschiedenen Ebene eine unterschiedliche Bedeutung. Es zeigt auf jeder Ebene eine andere Facette des selben Prinzips, eine materielle, personifizierte, physische, psychische, abstrakte und eine spirituelle. Venus kann je nach gestellter Frage oder Betrachtungsweise z.B. etwas aussagen über die Geschmacksorgane oder die Bauchspeicheldrüse, über die eigene Rolle als Frau oder beim Mann den Stellenwert von Frauen, über eine Schwester oder Kollegin, über den Sinn für Ästhetik und Harmonie, über Musikalität aber auch Bequemlichkeit. Zusätzlich gibt es Entsprechungen in der Natur wie Kupfer, Weideland, Pelz u.a. In jedem Symbol steckt seine ihm spezifische Vielfalt an Manifestationen, von grobstofflich bis feinstofflich.

Carl Spitzweg (5. Februar 1808)

Die Astrologie hat eine naturwissenschaftlich-mathematische Seite, die Himmelsmechanik, und eine humanistisch-geisteswissenschaftliche Seite, die persönliche Interpretation. Für das Eine ist der Computer eine unermessliche Hilfe, für das Andere ist er größtenteils unbrauchbar, denn es bedarf der menschlichen Erlebnis-fähigkeit und Sinngebung, um zu befriedigenden Aussagen zu kommen.

Somit wird verständlich, dass gelerntes Wissen von Einzelbegriffen und Texte von Computer-Horoskopen nicht zum Wesen des astrologischen Symbols und zu keiner Synthese führen. Ohne die persönliche innere Anschauung der als Zeichen verkürzten Lebensinhalte bleibt Interpretation blutleer und wirkt manchmal widersprüchlich oder sogar sinnlos.

Um einem Laien sein Horoskop (Kosmogramm) verständlich zu machen, muss derjenige, welcher die astrologischen Symbole lesen kann, Worte bemühen. Da ein Symbol einen vielschichtigen Gedankenkomplex umfasst und abstrakt ist, kann der 1. Schritt bei der Übersetzung von Symbolsprache in Wortsprache auch nur zu einer abstrakten und möglichst offenen Formulierung führen.

Offene Deutungen meinen keineswegs schwammige Aussagen, sondern in der abstrakten Form präzise, aber auf mehrere konkrete Situationen übertragbare  (wie mathematische Formeln, mit denen sich unterschiedliche konkrete Aufgaben berechnen und lösen lassen). Dieser Extrakt enthält das Wesen(tliche) und lehnt sich im Anfangsstadium der Interpretation noch eng an die Struktur der Grafik an.

Im 2. Schritt der Deutung in Worten geht es um Veranschaulichung. Dazu dienen konkrete Beispiele entweder als ausschmückende Einfälle (Vorschläge) des Interpreten zur Illustration oder als vom Klienten erzählte Begebenheiten aus dem tatsächlichen Erleben. Die als eine mögliche Auswirkung vom Deuter genannten „Bilder“, sollten nicht einengend verstanden werden: es gibt immer noch eine unvorstellbare, eine andere Variante, wie eine Konstellation erlebt oder gelebt werden kann. Das kreative Potential eines lebendigen Menschen hält sich nicht an astrologische Statistiken!

Ein wichtiges Moment bei der Horoskopdeutung ist der persönliche Kontakt, der Zwischenfragen und spontane Zusätze erlaubt. Das heißt nicht, dass das Verstehen eines Menschen ohne seine Gegenwart (sogar ohne ihn zu kennen) nicht möglich wäre. Der Astropsychologe schaut das innere „Funktionsschema“ eines Individuums und kann sich die realen Auswirkungen etwa vorstellen – je nach Erfahrung, Intuition und Menschenkenntnis genauer und plastischer.

Seinem Gegenüber geht es umgekehrt: es befindet sich mitten im Lebensstrom und vermag meistens – von individuellen Unterschieden abgesehen – die geistigen Ursachen seiner Lebensumstände und sein erreichbares „Reiseziel“ nicht voll abzuschätzen.

Yoko Ono (18. Februar 1933)

Der eine gleicht dem Kapitän auf erhöhtem Beobachterposten, der mit Kompass und Karte die nicht immer offensichtlichen landschaftlichen Zusammenhänge erkennt, sich an Berechnungen und sein Wissen hält.

Der andere gleicht dem am Ruder Sitzenden, von der Gischt des Lebens besprüht und betroffen, der seine Kraft – um vorwärts zu kommen – unmittelbar einsetzend aber dazu neigt, den Überblick zu verlieren.

Gibt es die Möglichkeit des Gesprächs zwischen beiden, dann ist die Bewusstseinslage des Rudernden eine andere: er weiß warum er wohin fährt, wann mit unruhigen Untiefen oder mit glatter See zu rechnen ist. Beide sitzen jedoch im selben Boot: auch Astrologen haben ihre Fahrt zu meistern!